Die Bands hätten unterschiedlicher nicht sein können. Was normalerweise für jeden eingefleischten Metalfan erstmal negativ behaftet wirkt, war an diesem Abend bis auf eine Ausnahme ein phänomenales Erlebnis der Extraklasse.
Durch den Mainact war die große Mehrheit der Gäste einem älteren Semester zu zuordnen. Auf den ersten Blick dachte ich mir: „Dies wird ein ruhiger Abend. Ein bisschen Kopfnicken, hier und da klatschen, die Horns \m/ in die Luft und ein wenig Beifall nach den Songs – ich werde nicht schwitzen.“ Doch ich wurde eines besseren belehrt.
Cold Rush
Die Münchner Industrial/Electro Metal Band machte den Anfang. Mit Retro Modernen Synthi Klängen begannen ihre Songs, hier und da hörte man Einflüsse von Depeche Mode und Nine Inch Nails in diesen Parts. Darauffolgend meist ein tiefer Bass im Vordergrund, die herrlich kratzende Stimme des Frontsängers Jürgen Dachl erklang zu elektronischen Beats und harten Gitarrenshreds.
Die sieben Jahre Pause merkte man den Jungs leider etwas an. Die Bühnenpräsenz war ein wenig eingerostet, die Jungs machten zwischendrin Scherze. Als Beispiel: nach dem Song: „Trust no one“ – „Uns könnt ihr trauen, wir sind so ehrlich – wir wollen nur euer Geld. Da hinten ist unser Merch“ sagt der Frontmann mit einem Zwinkern und sympathisch bayerischem Dialekt. Die Halle lachte. Die Performance auf der Bühne sehr statisch, was für mich zu diesem Zeitpunkt noch zu dem Publikum gepasst hat. Deshalb habe ich das erstmal nicht gewertet. Leider hatten sie es mit diesem Auftritt und den darauffolgenden Bands nicht leicht, weshalb sie an diesem Abend im folgenden Trubel untergingen.
Infected Rain
Die Bühne wurde dunkel. 5 Gestalten erschienen in der Finsternis auf der Bühne, die Bassdrum erklang mit 6 heftigen Schlägen und vibrierte durch den Körper. Im nächsten Moment fingen die Blinder an mit 160 BPM in die Menge zu Strahlen. Ernsthaft, der Lichtoperator hatte extrem viel Spaß. Und Lena „Scissorhands“ grölte den ersten Part von „Pendulum. Gefühlt explodierte verglichen zur Vorband gerade eine Wasserstoffbombe auf der Bühne.
Die Modern Prog Metal Band zeigte schon im ersten Song, wer hier heute Abend die härteste Gangart eingelegt hatte. Ein Circlepit bildete sich, die wenigen jüngeren im Publikum schlossen sich vor der Bühne zusammen, um die folgenden 50 Minuten ein wahres Schlachtfest in der Halle zu erleben. Ich selbst gehe mehr als selten in einen Moshpit, als der zweite Song „Blackgold“ anfing, konnte ich dem Drang aber nicht mehr ignorieren. Ich warf meinen Turnbeutel in die Ecke, nahm Anlauf und befand mich in eben diesem Gemenge. Man konnte bei ihren Songs nicht stillstehen. Die Frontsängerin und die Jungs an den Zupfinstrumenten waren wahre Entertainer. Crowdcontrol? Kein Problem!
In einem Wechsel zum nächsten Song „Longing“ fragte mich der Typ neben mir: „Wir hauen jetzt so richtig drauf, oder?“ Ich antwortete nur: „Überleg dir das gut.“ Er lachte. Das Fazit: komplett durchgeschwitzt, genießend, überwältigt. KRASS!
Musikalisch war das Quintett von Infected Rain großartig. Wer Bands wie Lamb of God, I Prevail und Arch Enemy hört wird Infected Rain lieben! Die Moldawier Touren noch ein wenig durch Europa und waren unter anderem auch auf dem diesjährigen Summerbreeze. Absoluter Pflichtbesuch!
Lacrimas Profundere
„Nach dieser Vorband, wird es schwer die Crowd abzuholen“ kommentierte ich mit meiner Kollegin Yvonne, die an diesem Abend die Photographie übernommen hatte. Sie stimmt mir zu.
Die 1993 gegründete Band Lacrimas Profundere betrat die Bühne. Seitdem hat sich viel verändert. Nur Oliver Nikolas Schmid (Guitar) ist noch von der Originalbesetzung geblieben. Was bei einigen Bands einem Todesurteil gleich kommt, ist für andere Bands eine Weiterentwicklung die dringend benötigt wurde. Bei Lacrimas Profundere galt immer der Vergleich mit HIM und Ville Vallo als großes Schafott, das über dem Können der Musiker baumelte. Dieser Ruf bringt zwei Probleme: erstens werden Fans von Him von der viel härteren Gangart abgeschreckt. Zweitens werden Genießer der extremen Musik abgeschreckt: „das wäre mir viel zu soft“. Früher mag dieser Vergleich gepasst haben, aber mit den neuen Mitgliedern der Band, vor allem dem hervorragend charismatischem Frontsänger Julian Larre (seit 2018) hat die Band gezeigt, so viel mehr zu sein.
To Disappear in you (erschienen 2022) war als erster Song des Mainacts eine Kampfansage. Der 30-jährige Frontmann hatte sofort eine Antwort auf Infected Rain. Ich war mehr als überrascht! Das Konzert ging in dem Tempo weiter, das davor angegeben wurde. Mit „Her Occasion of Sin“ nahm er sich eines älteren Songs der Band (2010) an, für mich live in einem neuen Gewand. Der Bass tiefer gestimmt als im Original, die neue Stimme mit mehr Screams, die Leadgitarre mehr im Vordergrund – TOP!
Man merkte ihnen die Führung durch Oliver N. Schmid an. Die 30 Jahre Bühnenerfahrung zeigten hier die perfekte Taktung der Songs zum richtigen Zeitpunkt, mit der erfrischend jugendlichen Note der neuen Bandmitglieder, die alle ihren eigenen Teil dazu beitrugen, alt gewohntes richtig gut neu zu interpretieren. Die Band hatte nach den 2014 – 17 er Auftritten endlich wieder Spaß auf der Bühne und harmoniert trotz des Generationen-Unterschieds vorzüglich! Julian Larre brachte die Energie für die Performance auf der Bühne, welche benötigt wurde, um die Crowd zu animieren. Der Rest der Band die Erfahrung und Virtuosität die ihresgleichen sucht. Die einzige Parallele zu Him an diesem Abend waren 3 Bühnenoutfits und die kreischenden Stimmen der Mädels, als der Sänger nur noch mit einer Hose bekleidet auf der Bühne in die Menge schrie.
Zum Abschluss wurde eine Gasse zu dem Song „Father of Fate“ gebildet. Julian sprang von der Stage und nahm sich seiner Fans an. Arm in Arm tanzte und pogte er mit den Fans, begrüßte und umarmte fast jeden in der Halle, während er weiterhin sang. Ein gebührender Abschluss eines großartigen Konzertes, welches den ein oder anderen Fan in der Halle mit Tränen in den Augen und Lachen im Gesicht hinterließ.